WILHELM
DRACH
Gemalte Denkmöglichkeiten
1980-1990


Widerstände im Bild suchen:
Zu einigen Serien von Diptychen Wilhelm Drachs
1994-1998


Zulassen malerischer Offenheit
Die Bildserien Wilhelm Drachs
2000-2001

Gemalte Denkmöglichkeiten
1980-1990


Die Überschrift zu diesem einführenden Essay über die Arbeiten von Drach weist Wiedersprüche auf, die bei der Generation von Drach als solche nicht empfunden werden, die aber dann virulent in die Rezeption von Kunst eingreifen, wenn ein traditionelleres Kunstverständnis vorliegt. Unter Malen wird zumeist ein sehr subjektiver, individueller Vorgang verstanden, es sei denn, der Künstler bedient sich eines akribischen, schildernden, abbildenden Realismus, mit dem Ziel, diesen Realismus dem Naturalismus zu überführen, das Bild als illusionäre Augentäuschung zu verstehen, Handwerklichkeit zu erproben, um einer schönheitlichen Kunst das Bild zu reden. Im extremen Fall kann aus diesem Realismus ein Idealismus entstehen, der durch Überhöhungen mehr oder weniger transzendente Wahrheiten sucht, die im Objekt selbst, dem der zu malenden Natur, nicht abzulesen sind. Malerei wird mit Handwerklichkeit verbunden, durchaus mit individueller Prägung, mit Handschrift, Ecriture, selten aber mit Denken.
Dabei bestimmt seit der Renaissance die Vorstellung von der Idee, der idea eines Kunstwerkes die gesamte Diskussion der letzten 400 Jahre, das Konzept ist wichtig, weniger die handwerkliche Ausführung. Der Künstler ist ein Schöpfer, ein Kreator, nicht in die Sklaverei des Abmalens vom Modell eingebunden. Der Künstler ist frei. Er setzt Geist gegen die Handwerklichkeit des Mittelalters.
In dieser stark verkürzten historischen Diskussion ergeben sich Fragestellungen in Bezug auf die Position, die Drach in der österreichischen Malerei einnimmt. Der Begriff Denkmöglichkeiten fiel am 15. 7. 87 im Gespräch mit dem Künstler. Er akzeptiert Denken, cogito ergo sum, als eine primäre Voraussetzung für menschliches Dasein. Dennoch ist er nicht gewillt, seine Malerei unter das Diktat des Denkens zu stellen, also des logischen Konstruktes, der ästhetischen Recherche, der Stringenz von Folgerungen, dem Deduzieren von Wahrheiten.
Es ist nicht untypisch für ihn, dass er von Denkmöglichkeiten spricht, so wie Musil es im Mann ohne Eigenschaften formuliert, wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch einen Möglichkeitssinn geben. Denken ist also ebenso Subjektivität, Individualität, weil nicht nur mentaler Nachvollzug von Vorgegebenem. Hier berührt sich das Konzept mit der Malerei. Die Suche nach den Möglichkeiten, dem Anderen, dem zuvor nicht Gesehenen führt unmittelbar in die Realismusfrage ein, aber anders, als weiter oben diskutiert. Realismus für Drach ist nicht politische Involvierung in tragisch-humane Situationen, ist nicht Abschildern von Wirklichkeit, nicht die illusionäre Wiedergabe von zuvor Gesehenem, sondern ein methodischer Umgang mit dem Erfahrenen und als kognitives Konstrukt durch Malerei. Die Wirklichkeit egozentriert sich auf den Künstler, er wird zum Medium, zum Vermittler höchts persönlicher Erfahrungen. Der Realismusbegriff von Drach impliziert etwas Künstliches, etwas Artifizielles, etwas Zusätzliche, das erst durch die neuen Bilder retinal erlesbar wird. Malerei wird zur Ausweitung von Wissen, zur Visualisierung als alter ego von Person und Situation.
Drach ist somit weniger Handwerker denn schöpferisches Kraftfeld, das zum Ausdruck drängt. Dieser Abdruck im Bild seiner psychischen Notationsfähigkeiten bindet er in eine Situations-Gestaltung, also eine Erzählung als Schilderung, in Momente von Prozessen, die er durch Malerei auf einen Kulminationspunt treibt.
Für eine Generation typisch ist die Unabhängigkeit von gegenständlich oder abstrakt. Er begann als gegenständlicher Maler, wandte sich der Abstraktion zu, malte Landschaften, um seit 1980 Figuren zwischen gegenständlich und abstrakt zu malen. Drach argumentiert in seinen Bildern nicht mit der Erkennbarkeit der Situation, diese bleibt klandestine Aussage, mehr versteckt und reduziert. Wie ein abstrakter Maler legt er die Bedeutung auf die Formulierung des Bildes durch Farbe. Wesentlich ist und bleibt die Farbe, die Figuren werden durch Farbe gebildet.
Der Maler geht von seinem ureigentlichen Metier aus, dem Setzen von Farbe. Diese Setzung ist eine spontane Arbeit, in der in langsamen Arbeitsphasen, im Werkprozessen über drei bis vier Jahre hinweg, innere Vorstellungen bildimmanent werden, um eine malerische Konkretheit zu gewinnen, die scheinbar dem spontanen Beginn widersprechen. Das Kunstwollen ist expressiv, nicht expressionistisch aber vehement, gestisch; bestimmt durch die Technik Acryl auf Leinwand, also einer schnellen Technik, einer raschen, rapiden Farbe, die der Künstler in Verbindung mit Lasuren oder pastos lavierend benutzt. Erst während des Malens kristallisieren sich Möglichkeiten heraus, die während des Arbeitsprozesses permanent analytisch korrigiert und überlegt werden müssen.
Ideen lassen sich nicht im ersten Wurf bewerkstelligen, wenn der Künstler um Verdichtung ringt; sich nicht nur Formalismen aber doch im geistigen Sinne Tiefe – deshalb die Lasurtechnik, deshalb die Überarbeitung, deshalb das langsame Voranschreiten – bemüht. Die Spontanität des Bildausdruckes widerspricht dem bisher Gesagtem, sie ist dennoch grundlegend, wollen wir die Arbeiten von Drach rezipieren. Das Element der Geschwindigkeit, wie es Georges Matthieu in den 50er Jahren in die Malerei eingeführt hat, ist für die neue Generation, die Postmodernen kein theoretisches Argument. Es geht nicht um die schnelle Bestimmung eines momentanen Standpunktes, sondern um Figurationen, die ebenso keine auch nur irgendwie geartete erzählende Komponente in sich tragen, dennoch aber durch emotionale Situationserfahrungen Änderungen unterliegen, die sich erst während des Zeitablaufs beim Durcharbeiten ergeben: Denkmöglichkeiten, die gemalt werden wollen.
Dem widerspricht nicht, dass Drach seine Bilder nicht durch Vorzeichnungen und Skizzen vorbereitet. Sein grafisches Oeuvre auf Papier besteht aus autonomen Vorstellungen, schnelleren, momentaneren Realisierungen, die der Leichtigkeit des Auftrages auf Papier entsprechen, die aber wie Bilder in Serien gesehen werden müssen.
Zumeist arbeitet er an fünf bis sechs Bildern gleichzeitig; nicht um eine unverkennbare Serie zu erstellen, die als historischer Set in seinem Oeuvre dominant werden. Er produziert mit dem Ziel, trotz der Gleichzeitigkeit des Schöpfens, Ähnlichkeiten zu vermeiden. Die Serie ist also kein konzeptioneller Bestandteil, denn Drach hat Angst vor der Wiederholung. Diesem Kunstwollen entspricht das Trennen von Malen in Acryl auf Leinwand oder Acryl und Mischtechnik auf Papier. Für beide Formen der Expression entwickeln sich immer wieder einige Phasen; es ist eine entweder oder, beides ist gleichzeitig nicht möglich. Wenn die Situationsschilderungen in einer Technik beginnen, sich der Wiederholung zuzuwenden, dann wechselt Drach das Medium, versucht er eine neue gedankliche und bildnerische Freiheit zurückgewinnen, die nach Beendigung der jeweiligen Phase sofort in das andere Medium zurückführt.
Paul Klee nennt sein bedeutsames Bild im Museum Ludwig in Köln "Haupt- und Nebenwege". Drach kennt seinen Hauptweg, aber er scheut die Nebenwege nicht. Er geht sie, ohne dass er dabei einen Stilbruch verrät, er glaubt an seine Handschrift, er weiß um seine Ausdrucksstärke. Er wechselt nur die Materialität, um weiterhin Denkmöglichkeiten von Situationen zu malen. Diese Situationen changieren, sie alternieren, ohne dass Expressivität verlorengeht. Drach steht in der Tradition der nordistischen Maler des Donauraumes, der Übersteigerung, der Überspitzung, der Übertreibung, der Zuordnung des Bildes gegen die Wirklichkeit; im Bewusstsein, dass die kinetische Einbringung in die Arbeit, also die körperliche Involvierung ein wichtiger Lernvorgang im Umgang mit der eigenen Kunst ist. So malt er große Formate schneller, da sie seiner Physis, der Länge seiner Arme entsprechen. Dieses Arbeiten aber ist kein kontinuierlicher Zustand. Die Malerei vollzieht sich in Schüben, also mit Pausen, da die konzeptionelle Aufladung, die Ideen-Bereicherung kein mediales Kontinuum ist, also nicht von der Langeweile einer second hand reality, einer Wirklichkeit aus zweiter Hand geprägt ist.
Drach erfüllt sich selbst durch seine Malerei hohe Ansprüche. Malerei als Qualität, Gedanklichkeit als Konzept, Kunst als alternative Möglichkeit. Seine Bilder sind Erlösung dieser selbstgestellten Qualitäten. Malerei ist nicht leichtsinniger Umgang mit Farbe auf einem Bildträger, sondern Verdichtung, In-Fragestellung und Selbsterkenntnis. Gemalte Denkmöglichkeiten heißt deshalb das Auflehnen mit der Auseinandersetzung mit der Tradition, z. B. Willem de Kooning und anderen abstrakten Expressionisten, zugleich Infragestellung der eigenen Position und auch Situation, in dem Bewusstsein, dass Kunst als autonome Setzung eines Individuums sich mit äußerster Fragilität präsentiert, auch wenn das Kunstwollen von stilistischer Notwendigkeit, um in mitteleuropäischen Eingrenzungen und Bindungen expressive Aussagekraft zu gewinnen. Diese Expressivität verleugnet Pathos, Delektierung, Unterhaltung, Erheiterung; sie verzichtet auf die Fassadenmentalität der Ringstraße in Wien, sie sucht wie im Werk von Egon Schiele oder Jürgen Messensee, um österreichische Tradition zu benennen, die Darstellung dem Punkt einer möglichen Situationsbindung zu treiben. Malerei versteht sich als Aktivum, nicht als passives handwerkliches Reagieren, sondern als die Möglichkeit von Artikulation als Zeichen individuellen Mitlebens in einer größeren Gesellschaft. Drach greift die Form dieser Gesellschaft nicht an, er versucht keine gesellschaftlich-revolutionären Utopien, er bleibt der malende Beobachter, der dennoch nach den Möglichkeiten einer visuellen Utopie sucht.
Diese Suche nach Möglichkeiten ist keine langsame, in dem Sinne, dass Werke über Jahre hinweg als Einzelopus entstehen, sondern eine freudig-gesuchte Begegnung, eine erhofft-schnelle Reaktion über lange Zeit, die sich in zahlreichen Werken abbildet. Widerstand und Provokation sind ebenso enthalten wie affirmative Setzung. Drach lebt eine freiheitlichen Kunstkosmos aus, der seiner vorherigen Generation versagt war. Drach muss keine Tabus brechen, für ihn ist Malerei Selbstfindung als exemplarisches Vorgehen, als pars pro toto für uns alle. Wenn alttestamentarisch der Engel Gabriel die Menschheit erschüttern musste, so kann der Künstler heute in seine Situationsmöglichkeiten malerische Alternativen aufzeigen, die ohne große Revolutionen Denkanstöße beinhalten.

Dieter Ronte, Oktober, Wien 1987
Direktor Museum für moderne Kunst Wienr



Widerstände im Bild suchen:
Zu einigen Serien von Diptychen Wilhelm Drachs 1994-1998


"Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch einen Möglichkeitssinn geben" übertitelt Robert Musil sein 4.Kapitel im 1.Teil seines Mannes ohne Eigenschaften. Der Satz ist losgelöst von seinem Autor zu einer Kurzphilosophie des 20.Jahrhunderts geworden - trotzdem oder gerade deswegen trifft er in seinem widerständigen Beharren auf einen wichtigen Aspekt der 1992 enstandenen in sich zweigeteilten Farbfeldkompositionen Wilhelm Drachs besonders zu. Am Anfang standen einige wenige Leinwände, die einenteils aus Lasuren bestehen, die zum Rand hin hellere Farbstufen zeigen, anderenteils aus pastoseren und opaken Schichten in einer Komposition. Diese erinnerten den Künstler aber zu stark an Teilungen, mit denen Mark Rothko in den späten sechziger Jahren experimentierte. Der Zufall ließ eine Trennung der beiden unterschiedlichen Farbkörper und damit etwas völlig Neues und Veränderliches entstehen: Zwei getrennte Werke standen plötzlich knapp nebeneinander und bildeten eine neue Einheit. Für die nächsten sieben Jahre war die Auseinandersetzung mit dem Diptychon da. Faktoren von aussen addierten sich zur selbst entdeckten Erfahrung, denn das mehrteilige Bild ist ein Charakteristikum der Malerei nach 1945, obwohl es schon lange vorher, eigentlich seit der Antike existierte, wurde eben dieses Kunstmittel der Mehrteiligkeit ab dann zu einem der Hauptfaktoren in der Malerei.
"Thirty are better than one" sagte Andy Warhol und die Addition zu Bildergruppen, altarartigen Polyptychen aller Art hielt bis heute an. Werner Hofmann hat der Wiederkehr formaler Kriterien aus dem Mittelalter in der modernen Kunst 1998 eine erhellende Studie gewidmet - es sind geistige Spurensuchen der Avantgardekünstler, die über die Jahrhunderte des autonomen Staffeleibildes und der Zentralperspektive zurückblicken in eine kultische und damit auch rhetorische Einbindung der Werke. Auch wenn es seit dem 19.Jahrhundert die "ästhetische Kirche" ist, in der die Bilder diskutiert werden, ist der Werkprozess der Künstler immer noch in die Aura des magisch Dunklen bei der Umsetzung von einem geistigen Ursprung der Idee zu einem konkreten Objekt getaucht, einer Oberfläche aus Farbschichten, die jene Umwandlung von Geist in Materie als persönliche Schrift nachvollziehen lässt. Selbst die automatisch, intuitiv, informell arbeitenden Maler, die vom Ausschalten des Gehirns zugunsten der körperlichen Geste sprechen, beharren auf diesem unbegreiflichen und damit - nach Hegel - spielerisch heiligen Prozess. Doch ein informeller oder aktionistischer Maler ist Wilhelm Drach nicht, wenngleich er um die Aura des Entstehens sehr genau bescheid weiss.
Seine Ideen sind von anfang an konkret im Kopf existent und auch wenn er sie nicht im Sinne einer Vorzeichnung skizziert, ist der Vorgang analytisch, nicht intuitiv. Der Zufall bei einer spontanen Setzung von abstrakten Zeichen, zuweilen Schriftzügen, ist so gering gehalten, dass dem korregierenden Arbeiten im Einsatz der Farbtöne und dem bewussten Zugeben und Wegnehmen eine weit wichtigere Funktion zukommt. Der Blick ist kritisch, mehrere Bilder entstehen dabei zwar nebeneinander, aber keines wird in einem Arbeitsgang fertig, alle werden nach Pausen übergangen, oft werden auch ältere Werke, die dem kritischen Blick Drachs nicht standhalten, übermalt, mit Collage beklebt, die objekthaften Materialien in die Farbschicht verwoben - ein schwieriges Experimentfeld, das einige Jahre bis zur Perfektionierung der Verbindung in Anspruch nahm. Zuletzt zeigte sich, dass Erde, Holz, Stroh, Wellkarton etc. am besten durch Acrylbinder an die Leinwand fixiert werden kann und sich mit dem Farbpigment vereinheitlicht, ohne sich wieder zu lösen.
Die Serien von Diptychen haben keine Titel, die Leinwände sind nummeriert und datiert, einer ersten Folge der Jahre 1993/94 folgten spätere ab 1996. Dazwischen gab es familär und beruflich erzwungene Pausen, die aber bewusst in bezug auf die Kunst reflektiert, den gewonnenen Abstand als nützlich betrachten und an Tiefe gewinnen ließen. Dabei spielt natürlich eine wichtige Rolle für die späteren Bildpaare, dass es sich um Krankheit und Tod des Vaters handelte, den Wilhelm Drach bis zuletzt begleitete und dafür seine Malerei stilllegte.
Diese veränderte sich damit verständlicherweise bei der Wiederaufnahme - viele Werke sind in mehrmaligen Schüben von verzweifelter Kraft gekennzeichnet und überarbeitet; der Vorgang ist sehr geordnet, fast penibel sorgfältig, wenngleich er ganz konträr spontane Wirkung erzielt. In den Diptychen sind dabei die Widerstände wesentlich, die sich im Nebeneinander und den Unterschieden im Umgang mit dem Farbkörper ergeben. In den Gegensätzen sind aber auch Zusammenhänge vorhanden, der spannungsreichen Opposition folgt eine Kombination - vor allem für die Augen der Betrachterinnen und Betrachter. Die eine - meist die grössere Bildfläche - mutiert zu einer haptisch rauhen, mit Collage durchsetzten, unruhigen, fast reliefhaften Form. Als Widerspruch in sich ist dem Horror vacui dieser Gegenstände eine vereinheitlichende Malerei und auch Ein- und Überzeichnung eingeschrieben; eine durch breite schwarze Striche umrissene abstrahierte Körper- oder Gegenstandsform, manchmal auch Schriftzeichen aus Ostasien ähnlich, wird darüber gelegt. Die Dominanz dieser breiten, zuweilen offenen Pinselzüge ensteht durch die von ihnen vorgenommene "Bezeichnung" und damit Kennzeichnung des ganzen Bildes: Ohne Titel steht es Betrachtern frei, darin Menschen, Stilleben, Landschaft oder eben nur die entfernte Erinnerung an die Gegenständlichkeit zu sehen - für Drach hat jede dieser Konfigurationen eine Entsprechung in der Realität.
Die eingearbeiteten Materialien sind: Wellpappe, Jute, Erde, Sperrholz (von Obstkisten zur Assoziation abschliessender Zäune mutierend) und Stroh. Die natürlichen Materialien Erde und Stroh in der Malmaterie begegneten Drach intensiv in einer Ausstellung der Werke Anselm Kiefers in Berlin, wobei ihn nicht die Inhalte des international bekannten deutschen Künstlers interessieren, sondern sein virtuoser Umgang mit Materialien. Doch wandelte sich diese Materialaneigung zu persönlicher Verdichtung - zuerst mit Erdfarben, ab und zu auch einem dunklen Violett, es folgten Ocker, Schwarz, Tierra da Siena, doch ist auch die einheitliche Farbstärke erst langsam erweitert worden. Dazwischen konnte sich auf manchen der pastos reliefhaften Collageteile die Malerei stark reduzieren und die Gegenstände allein für sich wirken lassen - so eben, wie anfangs erwähnt, die Sperrholzfragmente von Obstkisten zu zaunhaften Absperrungen umwandeln. Man kann an verschlossene Wege denken, an Überschreitungen in andere Welten, an die Schwellen oder Leitern zu einem Drüben aus dem Hier; ein Jenseits, das (noch) verschlossen bleibt. Umgeben von wenigen Farbflecken oder Schriftzeichen in Schwarz ist das Zeichen an sich immer dominanter geworden und das Material stärker eingebunden worden.
Auch die meist schmäleren und lasurhaft gemalten Gegenbilder dieser Paare, die nun stark auf das Optische bezogen sind, wandelten sich von nach aussen ausdünnnenden atmosphärischen Oberflächen oder Valeurs von Grün zu Blau usw. zu einheitlicheren Farbfeldern, die anfangs allerdings am Rand verletzend ausgelassene oder scheinbar darüberhinausgehende Faktur zeigen als wollte die Malerei die Bildfläche verlassen. Das Drängen aus dem Farbfeld heraus wird aber später zu einer einheitlichen opaken, stark bunten Farbhaut in Rot, Blau, Violett bis zu lichtmystisch anmutenden hellem Gelb und einmal sogar hellem Grün. Räumlichkeit des Farbkörpers tritt auf, wobei diese tiefendimensionale Qualität der Farbe unterstützt wird, indem sie in kleinen Flecken am anderen Teil zwischen den Collagen wiederkehrt. Zuweilen sind die Widerstände innerhalb des Diptychons: haptisch-optisch, rauh-glatt, flächenhaft materiell und tiefenräumlich farblich etc., noch gesteigert durch emotionale Unvereinbarkeiten des Künstlers in bezug auf eine bestimmte Farbe. Die Antipathie gegenüber Himbeer-Rosa, bestimmten Violetts wird als absichtliche Erschwernis gewählt, um die unangenehmen Kontraste aufzubauen und zu bereinigen - eine Vergrösserung des Widerstands zugunsten der Herausforderung an die malerische Überwindung.
Wie die Vielteiligkeit des Bildes ist auch der doppelte Sinn des Widerspruchs, die Lehre von der Ähnlich-keit der Gegensätze, die zweifache Wahrheit, eine im 20.Jahrhundert durch Musil, Proust, Wittgenstein, Joyce u.a. wiederaufgenommenes Prinzip, das eigentlich schon mit der Erfindung der Ars combinatoria durch den katalanischen Theologen und Philosophen Ramon Lull gegen die Starrheit der mittelalterlichen Scholastik vorhanden war und durch seine Weiterentwicklung im Begriff der "Cioncidentia oppositorum" von Nikolaus von Kues ab dem 14.Jahrhundert an Einfluss auf das Denken und die Kunst gewann. Auch die Renaissance und das barocke Zeitalter setzten mit der Antithese der "Discordia concors" fort, die nur durch die einseitige Emanzipation des logischen Prinzips ab der Aufklärung vorübergehend verschüttet war.
Heute regen eben diese freien "Denkmöglichkeiten", die Dieter Ronte Wilhelm Drach schon 1987 nach Robert Musil zusprach, das selbstreferentielle Experiment des Malerischen zu neuen Auseinandersetzungen an, die nicht mehr nach einer Unterscheidung von gegenstandslos und figural oder anderen gestalterischen Einschränkungen fragt. Damit ist auch die pathetische Herrschaft des einteiligen Tafelbilds - der Ikone im leeren weissen Raum - beendet. Die neue "Andacht" vor der ästhetischen Äußerung der Malerinnen und Maler erlaubt den übereinstimmenden Widerspruch, das zustimmende Gegenargument, die unvereinbare Einheit, die harmonische Widersetzung und das zweifache und mehrfache Sehen.
In den anderen Bildserien von Diptychen nach den stark farbigen Widerparten sind die Bedürfnisse nach Harmonie zurückgeholt und die Farben bis zur Tonigkeit vereinheitlicht. Daneben werden aber die Zeichen in Schwarz stärker, es ist ein sachter Beginn zu einer Auflösung der Collage durch stärkere malerische Einbindung, ein Nachlassen der dramatischen Steigerung der Gegensätze. Neben den schwindenden Materialien ist ein sich wandelnder Pinselstrich verschiedener Breite und das Hineinkratzen mit dem Pinselstiel als Prozess einer gewollten Vergröberung zu bemerken.
Immer war neben den schwerer wirkenden, sich reliefhaft abhebenden Collagen auch eine Serie von Objekten in Plexiglaskisten geplant, sie ist auch noch nicht verworfen, sondern nur aufgeschoben in zukünftige Pläne. Zuletzt lösten sich 2000 auch die Zeichen in ihrer Struktur zugunsten von bewegten Linien auf und die Materialien verschwanden ganz wie auch die Wahl des Diptychons - die Wende der Malerei Wilhelm Drachs zu einem neuen Abschnitt kündigt sich an.

Brigitte Borchhardt-Birbaumer



Zulassen malerischer Offenheit
Die Bildserien Wilhelm Drachs 2000-2001


In den neuen Bildserien Wilhelm Drachs aus den Jahren 2000 und 2001 ist die Teilung zum Diptychon nur mehr in einem Fall notwendig: Sie liegt dabei am großen Format - doch die Struktur der Zweiteilung ist vorüber, die Einzelkomposition ohne Antwort des Pendants, wieder von Bedeutung. Die Konfrontation von malerischer Fläche und grafischer Spur mit zeitweiligen haptischen Einschlüssen findet nun in einem Werk statt.
Ein einzelnes schwarzes Schriftzeichen zieht sich als flüssig gesetzter, breiter Pinselstrich von links oben nach rechts unten über beide aneinandergefügten Leinwände; als Gegengewicht platziert der Künstler rechts oben das einem Omega ähnliche Gebilde. Dazwischen tut sich eine neue Welt von lasurhaften Flecken auf, leicht strukturiert und auch teilweise mit einer Malerrolle trocken und flockig aufgetragen. Starke Farbigkeit von Grün, Rot und Hellblau kontrastiert zu Weiß und Schwarz. Die ungrundierte Leinwand saugt die dünnen Schichten heller Farbe auf, dunkelt sie ab und lässt ihre Eigenfarbigkeit (beige) an die Oberfläche durchschimmern: Die Lokalfarben bekommen einen nebelschleierhaften Unterton.
Der breite Schriftzug ist runder, Schlingen ersetzen die ostasiatisch anmutende Eckigkeit, aber diese Entwicklung stört den Maler - sein geistiges Idealbild hat nicht diese neue Tendenz zu weicherer Form, dazu schwebt ihm ein breiterer Spielraum für seine Zeichen vor. Durchstreichungen sind die Folge von Zweifel; in der großen Komposition treten sie als grüne, schmale Pinselstriche von der Mitte oben wie skizzierte Strahlen eines Gestirns auf, etwas tiefer noch einmal in Rosa. Farbrinnen zeigen, dass das Bild bei der Arbeit gewendet wurde; sie bleiben stehen, sind aber nicht als dominant wirkend eingesetzt - Zufälle werden gestattet, aber nicht akzentuiert; die Kontrolle ist weiter da.
Dabei habe sich die durch schwarze Zeichen erzeugten Widerstände vor allem in den "Zwischenbildern" vom vorigen Block von Werken zum Neuen aufgelöst. Die vier bis sechs schnell entstandenen Einzelstücke sind ohne Zweifel eine Befreiung von der formalen Strenge der Diptychen mit ihren haptisch-optischen Konfrontationen. Nicht nur der Abstand von der Vielteiligkeit, auch die Loslösung vom starken Zeichen - ein Loslassen in Richtung Spontanität, Emotion im Sinne einer malerisch offeneren Fläche, findet statt.
Versuche von Übermalung konnten zwischenzeitlich neben warmen Tönen, die nun überwiegen, schwarz sein. Strich wird zu Fleck, das Schwere des Dunklen beginnt vor Violett, Weiß und Gelb zu schweben. Ein schmaler Zickzack-Schriftzug in Gelb legt sich wie eine optische Lichtspur über diese durch Pinselstriche akzentuierte schwarze Fläche.
Auch die neuen Bildserien Wilhelm Drachs haben keine Titel, nicht einmal Nummerierungen; nur er selbst kennt ihre Abfolge. Sie sind auf pures Theaterleinen oder Molino mit Acryl gemalt, meist ungrundiert. Zwei Großformate am Anfang lassen noch die vorher häufige Collage aus Karton und Erde, gebunden durch Farbspuren, zu. Aber wie die Schärfe und Kantigkeit der Zeichen lassen diese Kunstmittel gegenüber malerisch-grafischen Konfrontationen nach. Die verschiedenen Möglichkeiten des Farbauftrags aus der Tube, mit der Spachtel, dem Pinsel oder der Malerrolle werden durch lasurhafte oder pastose Schichtung, Abheben, Verwischen und Herauskratzen ergänzt.
Das Nachlassen der dominanten Zeichen und die Auflösung zum Malerischen bringen den optischen Täuschungseffekt eines Landschaftscharakters mit sich: Das alte Phänomen im Abstrakten doch Gegenständliches zu vermuten, taucht unmittelbar auf. Wege, Felder, Nebel und windbewegte Natur scheinen sich zu öffnen - ein Oben und Unten ist nicht durch das Zeichen, sondern durch die bloße Wahrnehmung gegeben.
In der nächsten Bildserie wirken diese Zwischenbilder in ihrem mutigen Schritt ins Ungewisse des rein Malerischen hinein, aber etwas gemildert, indem die kürzelhaften Zeichen durch die Spachtel abgezogen oder an sich nur dünn und trocken gesetzt sind. Ein Gegenüber zu den stark akzentuierten zeichnet sich wie ein "Wasserzeichen" ab. Dazwischen liegen die Bilder mit konkreten Zeichen über den lasurhaften Buntfarben und jene messen sich wie zwei Kämpfer im Gegenüber eines dazu bestens geeigneten Breitformats. Letzteres gehört auch zu den auffallenden Neuerungen in der Malerei Drachs seit 2000. Das früher dominante Hochformat wird abgelöst wie die Tonigkeit den Kontrasten weicht: Nun sind oft Gelb und Schwarz, Violett und Türkis mit Rot, aber auch Pastelltöne von Altrosa zu Grün changierend gegenübergestellt. Der spielerische Umgang mit kalten und warmen Dispositionen ist ein wichtiger Teil des neuen Konzepts, der auch eine formal-perspektivische Wirkung mit sich zieht.
Nach den spontan entstandenen emotional aufgeladenen "Zwischenbildern" kam für Wilhelm Drach erneut die Phase des Zweifelns und des Kampfes um die endgültige Komposition - vielleicht könnte man auch sagen, eine Phase stärkerer Kontrolle setzte wieder ein. Dabei zeigt sich mit dem Einsatz von Weiß als Farbe oder sogar flockige Struktur eine den immanenten Problemen der Malerei an sich verbundene Arbeitsweise, die mit Zweifel, Zerstörung und Wiederaufbau (durch weiße Schichten) einhergeht. Eine möglicherweise diese Hintergründe beleuchtende Anekdote des antiken Schriftstellers und Wissenschaftlers Plinius im XXXV. Buch (Zeile 103) seiner Naturgeschichte berichtet vom Maler (und Bildhauer) Protogenes aus Kaunos, der immer vier Schichten von Farbe auftrug. Das Problem, den Schaum eines Hundes am Maul zu malen, schildert Plinius folgendermaßen: "In ängstlicher Seelenpein, da die Malerei das Wahre, nicht aber das der Wahrheit ähnliche enthalten solle, hatte er den Schaum öfters abgewischt und den Pinsel gewechselt, war aber keineswegs mit sich zufrieden. Schließlich warf er aus Zorn über die Künstelei, weil man sie (als solche) erkenne, einen Schwamm auf die Stelle der Tafel. Dieser trug die abgewischten Farben wieder so auf, wie es sein Bemühen gewünscht hatte, und so hat in der Malerei der Zufall die Naturwahrheit geschaffen".
Es handelt sich also um das alte Problem des Umgangs mit dem Zufall und dem Zulassen von Zufall im Gegensatz zur logischen Kontrolle. Noch Leonardo da Vinci oder im vorigen Jahrhundert Francis Bacon haben dieses Zufallsprinzip besonders gelobt und geschätzt. Aber es liegt auch schon allerhand an Problematik der abstrakten Malerei in diesen Aussagen und dazu addieren sich auch die Bemerkungen über die Stimulation für Bildideen durch Wolken oder Wasserlacken, die Leonardo wieder von Plinius aufnahm und in seiner Akademie offenbar verbreitete. Auch wenn es nicht die Absicht Wilhelm Drachs ist, eine kunsttheoretische Frage praktisch abzuhandeln, ist das Spiel und das Experiment nach wie vor ein aktuelles Phänomen. In seinem Fall ist die wolkenhaft flockige Struktur der weißen Farbe, die mit der Malerrolle aufgetragen wird, ein wichtiger Akzent. Denn das Weiß wird über der beigen Tonigkeit der Gründe zur Farbe mit Eigenwirkung; es dient nicht mehr nur als Aufheller oder Lichtspur.
Das Erkämpfen der Texturen der letzten Bildserien, die jene malerische Qualitäten der "Zwischenbilder" zum einen fortführen, zum anderen den Schritt nach vorne durch einen Halbschritt zurück zu zumindest einem dominanten Zeichen in der Komposition, das die Höhe oder die Breite des Bildes durchmisst, als retardierendes Moment einsetzt. Das Nachlassen der absoluten Kontrolle und Einbringen unbewusster emotionaler Ströme wird wohl eine Fortsetzung im nächsten Schritt finden: Der Kampf der Gegensätze wird sich weiter verlagern - wohin, dürfen Betrachter gespannt erwarten.

Brigitte Borchhardt-Birbaumer